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Tschernobyl und Prypiat

Tschernobyl – Katastrophentourismus? Ein bisschen, aber auch das Verlangen zu sehen, was geschehen ist, Zeuge zu sein. Einen Geigerzähler nimmt man mit, aber es sei ungefährlich, solange man sich an ein paar Regeln hält: Auf den vorgeschriebenen Wegen bleiben, nicht ins Innere von Häusern gehen, nichts anfassen, nichts ablecken. Über Trampelpfade kommt man in ein Dorf – oder besser gesagt in das, was davon übrig ist. Die Natur hat sich ihren Platz zurückgeholt. 33 Jahre sind seit dem atomaren Super Gau vergangen. Dort, wo früher Wege waren, ist heute Wald. Die meisten Häuser sind eingestürzt. Ein paar solider gebaute, wie das große Gemeindehaus, haben Wind und Wetter getrotzt. Die Räume sind weitgehend leer, Plünderer haben auf der Suche nach Wertsachen sogar die Dielen. Verlassene Wohnungen sind natürlich Bildobjekte, aber bedrücken auch die Seele. Ein Schlafzimmer oder ein Kinderheim, so klar wird das nicht. Einfache Betten stehen dicht nebeneinander. Die Matratzen sind durchgelegen, eine Kuhle ist dort, wo früher mal Menschen gelegen haben. Eine Puppe sitzt noch im Bett. In der Mitte steht ein kleiner Holzofen, darauf ein altes Bügeleisen. Man kann davon ausgehen, dass das inszeniert ist, aber es könnte auch echt sein. Mit dem Bus geht es von einem verfallenen Ort zum nächsten. Ein. Autowrack am Wegesrand, eine verfallene Sporthalle, in der noch Turngeräte stehen.

Besonders beeindruckend ist Prypjat. Die Stadt liegt keine zwei Kilometer vom Unglücksreaktor entfernt. 50.000 Menschen haben hier gelebt, davon über 15.000 Kinder. Zu Sowjetzeiten war Prypjat eine Vorzeigestadt. Viele junge Familien hat es wegen der Arbeit hierhergezogen. Größter Arbeitgeber: Das Kernkraftwerk. 4.000 Menschen starben direkt durch die Strahlung, noch weit mehr an den Spätschäden. Wo früher die Menschen über den Marktplatz schlenderten, stehen heute Bäume. Man kann durch die Häuser gehen. Natürlich Plattenbauten. Von oben sieht man, wie die Natur die Stadt erobert hat. Es war am 26. April 1986, 1:23 Uhr Ortszeit als im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ein Reaktor explodierte. Der größte anzunehmende, unkontrollierbare Unfall ereignet sich – der GAU. Radioaktive Wolken ziehen über Europa hinweg. Bis heute wirkt die Katastrophe nach. Ein „beliebtes“ Motiv: Ein Riesenrad, das für die 1. Mai-Feierlichkeiten aufgebaut wurde. Fünf Tage vor dem Fest explodierte der Reaktor. Man verspürt Trauer, denn die Menschen hier hätten sich sicherlich gefreut.

Wenn man in dem Gebiet unterwegs ist, ist man immer noch der Strahlung ausgesetzt. Die Geigerzähler fangen an einzelnen Stellen der Stadt heftig an zu piepen. Teilweise zeigt die Skala das Hundertfache der normalen Strahlung. Ein Tag in Tschernobyl ist angeblich so belastend wie einmal Röntgen beim Zahnarzt. Aber beurteilen kann das niemand. Manchmal hat man ein mulmiges Gefühl.

Dann kommt man noch zur Radaranlage. Sie sollte vor Raketen warnen. Aber sie verbrauchte so viel Strom, dass das Kraftwerk in Tschernobyl gebaut werden musste. Sie war der eigentliche Grund. Dabei war sie nicht richtig einsatzfähig. Sie hat nie funktioniert. Das hat man den Feinden im Westen aber nie erzählt.

Der Besuch ist durchaus ergreifend. Man erinnert sich der Menschen, die hier lebten und arbeiteten. Nicht die Gebäude beeindrucken, sondern das Schicksal der Menschen. Alles war unnötig. Anmaßung, Dilettantismus, Unfähigkeit, Sorglosigkeit. Hier kamen alle menschlichen Fehler zusammen. Es war ein menschlicher Gau.