Hemd
Es war einmal ein alter, reicher und mächtiger König. Er lebte wahrscheinlich im Mittelalter, irgendwo in Deutschland.
Ein König herrschte mit viel Verständnis für seine Untertanen. Aber plötzlich erkrankte er. Obwohl in seinem Reich viele Mediziner lebten, er sie auch konsultierte, konnte ihm niemand helfen. Er ließ im ganzen Land verkündigen, dass er diejenigen belohnen würde, die ihn heilen würden. So kamen neben seinen Medizinern auch alle möglichen Gelehrte und Berater. Aber keiner konnte ihm zur Gesundung verhelfen. Eines Tages, als er schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, klopfte ein alter Mann an das Tor des Palastes. Er erklärte, dass er dem König helfen wolle. Deshalb ließ man ihn vor und der König gewährte ihm Audienz. Der alte Mann beobachtete den König eine Weile und sagte dann: „Du brauchst nur eins zu deiner Gesundheit. Du musst das Hemd eines Glücklichen finden und dieses dann jeden Tag anziehen.“ So sagte der alte Mann, nickte und verschwand und ließ den König zurück.
Der König wollte dem Rat natürlich folgen, deshalb schickte er Boten in das ganze Reich, die eben das Hemd des Glücklichen besorgen sollten. Aber sie kamen zurück und mussten zugeben, dass sie das Hemd nicht gefunden hatten. Der König ließ auch seine Minister und Ratgeber ausschwirren, um das Hemd des Glücklichen zu finden. Auch sie kamen unverrichteter Dinge zurück. Anscheinend gab es im Reich des Königs keine wirklich glücklichen Menschen. Alle hatten irgendwelche Kümmernisse, Krankheiten und Beschwerden.
Der König wollte bereits aufgeben, da kam sein Sohn zu ihm und bot an, sich selbst auf die Suche zu machen nach dem Hemd des Glücklichen. Der König ließ ihn mit guten Wünschen ziehen. Die meisten Menschen, die der Königssohn fand, waren aber unglücklich oder zumindest unzufrieden mit ihrem Leben. Es gab Menschen die reich waren, aber an Krankheiten und Schmerzen litten. Andere waren gesund, aber sie stöhnten unter Armut, Not und Repressalien. Andere lebten sogar in großer Fülle. Da sich ihr Geld aber aus undurchsichtigeren Quellen speiste, hatten sie Angst davor, aufzufliegen. Jedenfalls traf der Königssohn überall nur Menschen, die über ihr Leben, über ihr Schicksal oder über Menschen klagten und sich ungerecht behandelt fühlten. Der Königssohn war recht verzweifelt und hatte keine Hoffnung mehr, seinem Vater dieses Glückshemd mitzubringen. Er machte sich daher auf den Heimweg. Dabei passierte er eine recht einsame Gegend, in der nur wenige Menschen lebten. Es war Abend geworden und er kam zu einer winzigen Hütte. Er konnte ein einfaches Kerzenlicht erkennen und er hörte eine Stimme, die ein Lied von Glück und Zufriedenheit sang. Der Königssohn staunte und freute sich. Voller Hoffnung klopfte er an die Tür. Er vermutete, hier könnte ein Glücklicher wohnen. Ein alter Mann hieß ihn willkommen, bewirtete ihn mit einfachen Speisen und bot ihm sogar ein Nachtlager an. Der Königssohn erzählte ihm seine Geschichte und berichtete von der Krankheit seines Vaters. Das Hemd eines Glücklichen sei die einzige Medizin. Und er fragte den alten Mann, ob er glücklich sei. Der bejahte. So bat der Königssohn um ein Hemd, das er seinem Vater mitbringen könnte. Der alte Mann antwortete: “Ich würde dir gerne mein Hemd geben, aber ich trage kein Hemd unter meinem Kittel. Das kann ich mir nicht leisten.“
Da war der Königssohn ganz traurig, aber der alte Mann erklärte ihm: „Der Rat des weißen Mannes ist wohl richtig. Aber es muss sich nicht unbedingt um ein Hemd aus Stoff handeln. Geh zurück zu deinem Vater und erinnere ihn an die Worte. Finde das Hemd des Glücklichen und ziehe es jeden Tag an.“
Der Königssohn bedankte sich für die Worte und machte sich auf den Weg nach Hause. Inzwischen war der König sehr schwer krank. Man ging davon aus, dass er bald sterben würde. Der Sohn erzählte seinem Vater die Geschichte seiner Suche und natürlich insbesondere die Begebenheit mit dem Glücklichen. Der alte König ließ sich diese Geschichte immer wieder von seinem Sohn erzählen und langsam reifte in ihm die Erkenntnis, dass es allein an ihm liegt, das Hemd des Glücklichen anzuziehen. Von Tag zu Tag ging es dem König sichtbar besser. Der König fühlte sich wohl. Er arbeitete nicht mehr so viel, genoss sein Leben, saß in der Sonne und sah seinen Untertanen zu. Wenn jemand fragte, was der König eben mache, so wurde ihm häufig geantwortet, er ziehe gerade das Hemd des Glücklichen an.