Grenzgänge
Grenzgänge
89 Erinnerungsorte an der ehemaligen innerdeutschen Grenze
Ich muss mich outen: Ich habe nie an eine Wiedervereinigung geglaubt. Die DDR und damit die beiden deutschen Staaten waren für mich unverrückbare Realität.
Dann kam der Knall.
Aber erst am 20. Jahrestag des Mauerfalls habe ich mich gefragt, was von der Mauer noch existiert. Ich bin spontan losgefahren und habe nach den Resten der Mauer gesucht. Daraus wurden viele Grenz-Expeditionen, denn die „Exponate“ sind nicht immer einfach zu finden. Ich habe Wachtürme entdeckt, an Wüstungen verweilt, bin auf Lochplatten gelaufen und habe Zäune angefasst. Man muss die Grenze fühlen. Ich war vielerorts überrascht, weil von Grenze nichts mehr übriggeblieben ist. Jedes Gedenken ist verschwunden. Man hat tabula rasa gemacht, reinen Tisch.
Ich finde es nicht gut, wenn die Erinnerungen vollkommen abgerissen, gelöscht werden, kann aber auch Anwohner verstehen, die an dieser Grenze sehr viel Leid erfuhren. Was heute noch steht, sollte man jedoch bewahren.
Dem Erinnern ist dieses Buch gewidmet. Es will den Blick öffnen auf die noch vorhandenen Reste der Grenze. Es will einladen, sie zu besuchen, anzusehen, anzufassen und sich mit der dazu gehörigen Geschichte auseinandersetzen.
Nein, es sind keine Sehenswürdigkeiten, aber es sind würdige Erinnerungs- und „Sehens“-Orte. Vielleicht könnten sie einmal gleich-wertig sein zu der chinesischen Mauer oder zu den Überresten des Limes. Ich wünsche mir viele „Besichtiger“ (wozu, wie gesagt, das Buch anregen soll). Sie sollen kommen, besuchen, staunen. Ich bin mir sicher, dass sie dann automatisch etwas von der Geschichte mitnehmen. Diese Geschichte bleibt an ihnen „kleben“ und lässt sie nicht mehr los.
Die Mauer existierte 28 Jahre, zwei Monate und 27 Tage. Am 9 November 1989 haben sich die DDR-Bürger selbst befreit. Wir Deutsche können den Tag des Mauerfalls feiern als den freudigsten Tag unserer Nachkriegsgeschichte.
Obermichelbach, im 30.Jahr des Mauerfalls
erschienen 2019 im marix Verlag