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Herbst in Land und Leben - über die Menschenrechte

Es wird gerade Herbst. Das Wetter unterstreicht dies mit Nachdruck. Ich lebe in meinem Lebens-Herbst und die Welt, so habe ich den Anschein „herbstet“ ebenfalls. Die tägliche Zeitungslektüre hat mich motiviert, darüber nachzudenken, in welcher Welt wir eigentlich leben. Ich habe mich beim Menschenrechtsbericht der UN darüber informiert.

In meinem Leben habe ich die politische Erfahrung gemacht, dass Menschenrechte das unverzichtbare Fundament für florierende Gesellschaften sind, das verbindende Element des Vertrauens zwischen den Bürgern und ihren Regierungen. Die Menschenrechte waren für mich immer eine Hoffnung auf eine bessere Welt, die gewaltsame Konflikte, Brutalität und Ungerechtigkeit ablehnt.

Dennoch beobachten wir weltweit besorgniserregende Trends, die eben diese Menschenrechte gefährden. Kriegspropaganda ist überall präsent, von Militärparaden bis hin zu übertriebener Rhetorik. Leider fehlen Friedensparaden und Friedensministerien. Gewalt wird glorifiziert, das Völkerrecht über Bord geworfen. An die globale Ordnung sehen sich viele Staaten nicht mehr gebunden. Das Recht des Stärkeren wird zur Norm.

Ich habe mich bemüht, die Brennpunkte der Welt einmal aufzulisten. An erster Stelle steht der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Er hat sich nicht zuletzt durch das tollpatschige Verhalten von Trump weiter verschärft. Im Juli wurden mehr Zivilisten getötet und verletzt als in jedem Monat seit Mai 2022. In den letzten Wochen kam es zu einigen der verheerendsten Luftangriffe mit Drohnen und Raketen seit Beginn des Krieges. Das alles sind schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht.

Im Sudan ignorieren sowohl die Rapid Support Forces als auch die sudanesischen Streitkräfte das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte. Tausende Zivilisten sind ums Leben gekommen, die Feindseligkeiten in Darfur und Kordofan haben sich verschärft. Das Leid der sudanesischen Bevölkerung in diesem riesigen Land ist unvorstellbar. Sexuelle Gewalt ist weit verbreitet, insbesondere gegen vertriebene Frauen und Mädchen.

Vier Jahre nach dem Putsch sind die Menschen in Myanmar von einer katastrophalen Menschenrechtslage betroffen. Das Militär attackiert Zivilisten in ihren Dörfern mit Luftangriffen und Bombardierungen sowie mit willkürlichen Verhaftungen, Folter, sexueller Gewalt und Zwangsrekrutierungen.

In der Demokratischen Republik Kongo gibt es überwältigende Beweise für anhaltende schwere Menschenrechtsverletzungen und Missbräuche durch alle Konfliktparteien.

Israels massenhafter Angriff auf palästinensische Zivilisten in Gaza bedeutet unermessliches Leid und eine umfassende Zerstörung, die man sich gar nicht vorstellen kann. Die Behinderung ausreichender lebensrettender Hilfe und die daraus resultierenden Hungertoten unter der Zivilbevölkerung, die Tötung von Journalisten, UN-Mitarbeitern und NGO-Vertretern sowie die Begehung eines Kriegsverbrechens nach dem anderen schockieren das Gewissen der Welt.

Die Entwicklung in der Türkei ist ebenfalls besorgniserregend. Seit dem Putsch (2016) verwandelt Erdoğan das Land in eine Diktatur. Der Präsidentschaftskandidat der Opposition, Ekrem İmamoğlu, wurde verhaftet ohne glaubhafte Anklage. Noch kann man in der Türkei seine Meinung sagen, wenngleich nicht über alle Themen reden. Die USA nehmen einen ähnlichen Weg. Jetzt haben Donald Trump und seine Maga-Bewegung in Charlie Kirk einen Märtyrer gefunden. In der Türkei lässt sich studieren, was aus einem solchen Schockmoment folgen kann: autoritäre Politik. Erdoğan nannte den Putschversuch ein „Geschenk Gottes“, er begann, Gegner zu verfolgen, mit dem Putsch als Vorwand. Teils liegt es daran, dass Herrschende wie Erdoğan oder Trump von ihrer historischen Mission überzeugt sind. Dass sie das Land retten müssen – vor den Anderen. Sind die USA ein ganz anderes Land als die Türkei? Sicher. Das türkische Beispiel zeigt, wie schnell es gehen kann. Dass in den USA ein Präsidentschaftskandidat ins Gefängnis kommt? Unvorstellbar. Noch, aber das Justizministerium hat den Auftrag demokratische Politiker vor Gericht zu bringen und mundtot zu machen. Der demokratische Minderheitsführer Schumer sieht die USA bereits auf dem Weg in die Diktatur.

Da ist es fast nebensächlich, wenn Burkina Faso, Mali und Niger die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft verlassen. Venezuela hat erklärt, sich aus der Gerichtsbarkeit des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte zurückzuziehen. Die Russische Föderation ist aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgetreten.

Exzessive Gewaltanwendung und der Tod von Menschen afrikanischer Abstammung durch Strafverfolgungsbehörden sind in vielen Staaten weiterhin an der Tagesordnung und wurzeln oft in systemischem Rassismus. Indigenen Völkern wird weiterhin ihr Recht auf Land verweigert. Verstöße gegen die Rechte der Roma sind in mehreren europäischen Ländern und darüber hinaus weit verbreitet, einschließlich Polizeigewalt, Hassreden und systematischer Ausgrenzung. In China sind die Uiguren und andere muslimische Minderheiten in Xinjiang mehr oder weniger rechtlos. Dies gilt auch für die Tibeter in ihren Regionen.

Die Rechte von LGBTQ+-Personen werden in Westafrika zunehmend eingeschränkt. In Argentinien wirken sich die Sparmaßnahmen am stärksten auf Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen aus.

Mehrere Länder kürzen weltweit wichtige Programme zum Schutz der Frauenrechte, einschließlich der Unterstützung von Gewaltopfern und dem Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung. Müttersterblichkeit bleibt eine der häufigsten Todesursachen für die am stärksten marginalisierten Frauen und Mädchen. Afghanistan, wo der Zugang von Frauen zur Gesundheitsversorgung – neben vielen anderen Menschenrechten – stark eingeschränkt ist, hat eine der höchsten Müttersterblichkeitsraten weltweit. Vier Jahre nach der Rückkehr der Taliban sind Frauen und Mädchen nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben verschwunden.

Die Verletzung der Rechte von Migranten und Flüchtlingen werden in einigen Ländern zur Norm. Pakistan und der Iran haben Millionen von Afghanen zwangsweise in ihr Land zurückgeschickt, und Indien hat Gruppen von Rohingya-Muslimen auf dem Land- und Seeweg abgeschoben.

Kuwait hat in den letzten Jahren Tausenden von Menschen die Staatsbürgerschaft entzogen, wodurch viele staatenlos wurden. In Kambodscha ermöglichen Änderungen der Verfassung und des Staatsangehörigkeitsrechts den Behörden, im Falle von Hochverrat die Staatsbürgerschaft zu entziehen, was ihnen weitere Möglichkeiten eröffnet, Kritiker ins Visier zu nehmen.

Weltweit erleben wir einen Anstieg von Antisemitismus, Islamophobie, Homophobie, Rassismus und großangelegten Desinformationskampagnen. Im Tschad, in Nigeria und anderen Ländern der Region werden Konflikte zwischen Viehzüchtern und Bauern durch hasserfüllte Narrative angeheizt und eskalieren zu tödlichen Zusammenstößen. Von Südsudan bis Syrien verschärfen Hassreden die Spannungen und vertiefen die Gräben. Die Lügen und der Nihilismus führen zu realen Angriffen auf Menschen. In Kambodscha und Thailand beispielsweise war die Gehässigkeit in den sozialen Medien ein Faktor für die heutigen Spannungen. In Serbien bleibt Hassrede im Internet oft ungestraft.

Das ist nun eine lange Liste geworden. Damit ist noch nicht der Winter beschrieben. Es kann also noch schlimmer werden. Eine Hoffnung habe ich allerdings. In Umfragen wurde dokumentiert, dass die große Mehrheit der Menschen weltweit nach Menschenrechten und Freiheiten strebt. Demokratische Staaten müssen diesen Prozess weiter unterstützen und dabei positive Narrative für eine kreative Öffentlichkeitsarbeit stärken. Wenn man das Weltgeschehen mit dem Jahr 1945 vergleicht, geht es uns immer noch besser als damals. Ich gestehe allerdings auch, dass ich froh bin im Herbst meines Lebens zu sein.