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In meinem nächsten Leben werde ich Frau

Ich habe mir vorgenommen bei meiner Wiedergeburt – die wohl demnächst stattfinden wird – als Frau auf der Welt aufzutreten. Frauen haben heutzutage viel mehr Chancen als Männer. Man denke nur an all die unterschiedlichen Quoten die es gibt, bereits festgezurrt oder nur gedanklich hinterlegt. Jedenfalls werden Frauen bevorzugt. Frauen mit ein kleinwenig Sachverstand können sofort ins Management großer Unternehmen einsteigen. In der Politik sind sie ebenso präsent und in der Kultur sollen auch weibliche Bilder bevorzugt werden.

Selbst in China mit seiner desaströsen Ein-Kind-Politik, die zulasten der Mädchen ging, hat sich der Wind gedreht. Frauen werden heutzutage mit Gold aufgewogen. Sie können wählen zwischen den schwerreichsten Junggesellen.

Dabei besteht in der Gesellschaft neben der Bevorzugung der Frau immer noch der Reflex eines Schutzes der Frau. Warum gilt der Grundsatz „Frauen und Kinder zuerst!“? Den Untergang der Titanic überlebten nur 20 Prozent Männer an Bord, aber 75 Prozent der Frauen. War das angemessen?

Ich habe den Eindruck, dass das männliche Leben „seit je weniger wert“ ist. Wenn ein Mann und Frau gemeinsam auf einem Gehsteig spazieren gehen, haben viele Benimm-Dich-Ratgeber immer noch vorgeschrieben, dass der Mann auf der Straßenseite gehen soll. Ein ausbrechendes Auto, von einer Emanze gesteuert, mäht dann den Mann nieder und nicht die Frau. Kann mir jemand sagen, warum dies so sein soll?

Früher wurde Frauen der Besitz von Privatvermögen verwehrt, sie wurden vom Berufsleben ausgeschlossen. Das war damals zu ihrem Schutz gedacht. Schutz vor dem harschen Finanzmarkt, Schutz vor der belastenden Arbeitswelt. Heute gilt dies nicht mehr. Daher müssen die Männer Frauen finanzieren, die sich verspekuliert haben und die Windeln der Kinder wechseln, weil die Frau irgendein Meeting hat. Und so weiß man auch ohne den Kommentar des japanischen Olympia-Gurus, dass Frauen Meetings endlos in die Länge treiben. Frauen reden zu viel und schlimmer noch, sie fragen zu viel. Die Männer müssen dann alles erklären. Das braucht eben Zeit.

Ich glaube, dass Frauen nicht schutzbedürftiger sind als Männer, nicht am Arbeitsmarkt und nicht auf sinkenden Schiffen. Im Gegenteil. Ist es in unserer heutigen Welt nicht so, dass die Männer benachteiligt sind?

Aus aktuellem Anlass stelle ich mir die Frage: Warum werden Männer nicht bevorzugt gegen Covid-19 geimpft?

Das RKI schreibt, das Risiko, an Covid-19 zu sterben, sei bei Männern signifikant. Im Wissenschaftsjournal Nature heißt es, „in allen Altersgruppen über 30 Jahren haben Männer ein deutlich höheres Sterberisiko, was ältere Männer zur meistgefährdeten Gruppe macht“. 70 Prozent der deutschen Covid-Betten sind von Männern belegt. Es sind in Deutschland ungefähr doppelt so viele Männer an Covid-19 gestorben wie Frauen. Warum werden Männer nicht bevorzugt geimpft? Wenn es das Ziel ist, Intensivbettenbelegung zu reduzieren und so das Gesundheitssystem zu schützen. Wenn es das Ziel ist, die Totenzahlen gering zu halten. Wenn wir die Mortalitätsrate, die wir bei Frauen zwischen 80 und 85 sehen, bei Männern schon im Alter von 75 und 80 sehen. Warum wird in den Altersgruppen nicht auch nach Geschlecht differenziert?

Diese Forderung wurde bisher nicht gestellt. Lieber Männer-Freunde, lasst uns aufstehen und diese Forderung in die politische Arena einbringen. Ich bin mir sicher, für die Bettenbelegung und die Totenzahlen wäre es besser, Männer zu priorisieren. Doch das scheint nicht machbar zu sein. Dabei liegt es auch an diesem Fall an den Vorschriften des Datenschutzgesetzes. Denn die Männer müssten sich als Männer zu erkennen geben. Das geht aber nicht – wegen dem Datenschutz.

Häufig hört man, die Männer seien selbst für ihre ungesunde Lebensführung verantwortlich. Sie saufen zu viel, essen übermäßig und waschen sich nicht die Hände. Also selbst schuld. Aber selbst wenn Männer maßgeblich selbstverantwortlich sind, was sie wahrscheinlich nicht sind, macht das sie nicht weniger schützenswert. Medizin bedient sich nicht der Schuldfrage.

Diese Frage der Priorisierung wird heute in der politischen Diskussion gar nicht aufgeworfen. Das bedeutet, wir leiden heute noch an der gleichen Einstellung, der die Titanic-Männer benachteiligte.

Es kann sein, dass Männer nicht priorisiert werden. Weil es nicht machbar ist, weil die Welt nicht fair ist. Es sollte dennoch eine Selbstverständlichkeit sein: der Schutz der Schwachen. Die Schwachen, das sind in diesem Fall die Männer.

 

Und deshalb komme ich im nächsten Leben als Frau zurück.

 

(inspiriert von einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung)