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Jerewan, die Hauptstadt Armeniens

Mit einem Fuß in der Zukunft

 

Die armenische Hauptstadt hat seit dem Ende der Sowjetzeit einen großen Sprung nach vorn gemacht. Häufige Besucher behaupten, die Stadt habe sich in den letzten fünf Jahren zur Metropole entwickelt. Sie galt lange Zeit als die traurige, die dunkle, die geheimnisvolle Stadt am Fuß des ewig mit Schnee bedeckten Ararat. Nun befinden sich in der Altstadt viele neue Cafés und Restaurants, die auch voller Menschen sind. Früher sah man vielerorts ein vergilbtes Bild von Charles Aznavour – dem berühmtesten aller Armenier. Er verkörperte den Traum von westlicher Lebensart. Da er aber viele traurige Lieder im Repertoire hatte, brachte er auch wieder die Traurigkeit nach Armenien. Mit einem Fuß zurückgekehrt sind viele Armenier aus dem Libanon oder aus Syrien, die in dem Land ihrer Vorväter Geschäfte machen wollen und der Stadt eine Erfrischungskur verordnet haben. So ganz sicher sind sich viele aber noch nicht. Der Konflikt um Bergkarabach steckt allen in den Gliedern. Die Russen sind präsent und geben sich als Schutzmacht. Ob das für die Zukunft des Landes spricht, ist ungewiss.

Eine gewisse Veränderung kann man auf jeden Fall bei der Kleidung der jungen Leute erkennen. Gab es noch vor wenigen Jahren russische, eher praktische Klamotten, stehen heute farbiges Outfit, sportlich und elegant, im Vordergrund. Bunt heißt sich freuen, sagen die alten Armenier. Gut so. In Gesprächen stößt man aber immer wieder auf die kultivierte armenische Traurigkeit. Die Wirren um die Karabach-Politik sind ja noch nicht vorbei, Türken und Aserbaidschaner gelten als Feinde. Auch die Plattenbauten des Sowjetsozialismus kann man nicht so schnell überwinden, denn die Menschen benötigen diesen Wohnraum. Von Marktwirtschaft kann nur in Grenzen die Rede sein. Das Land wird in weiten Teilen von einer Oligarchie beherrscht, mit Wurzeln in Karabach und KGB-Vergangenheit, die dem Wirtschaftsleben ihre Prägung aufgezwungen haben. Sie haben ausreichend Rubel, um das Leben zu genießen und gleichermaßen zu gestalten. Im Krieg haben sie verdient, ihren Reichtum wollen sie noch nicht aufgeben. Politik und wirtschaftliche Macht sind undurchsichtig miteinander verwoben, Korruption ist ein alltägliches Problem.

Das Leben ordnet sich langsam und auf gewundenen Wegen. Der Glaube an die Zukunft nimmt zu. Doch es gibt auch eine weit verbreitete Sowjetnostalgie, besonders unter den Älteren. So wirkt auch das Stadtbild nach wie vor. Es gibt noch die Ensemblebauten aus der Stalinzeit: massive Häuser aus lokalem rötlichem Tuffstein mit angenehmer Traufhöhe, Säulen, Balkons, verziert mit armenischen Ornamenten. Glücklicherweise ist es kein sowjetischer Einheitsstil geworden. In den Vorstädten kann man die schäbigen Plattenbauten begutachten. Sie werden nicht so schnell verschwinden.

Jerewan ist ziemlich alt. Die Gründung der Stadt geht auf das Jahr 782 vor Christus zurück. Es ist mythisches Land. Babylon hinterließ in der Festung Erebuni seine sichtbaren Einflüsse. Und später wollte man gerne den Erzählungen vertrauen, dass der biblische Garten Eden nicht weit ist und dass am Gipfel des allgegenwärtigen Ararat Noah mit seiner Arche gestrandet ist. Leider liegt der Ararat auf türkischem Staatsgebiet.

Armenien ist das älteste christliche Land der Erde, seine Kirche ist 20 Jahre älter als die des Vatikans. Wichtig ist auch, dass das Land eine eigene Schrift und Sprache hat. Gleichzeitig isoliert dies auch die Bevölkerung. Aber Anfang des 19. Jahrhunderts war Jerewan immer noch ein Marktflecken mit 12 000 Einwohnern. Er entwickelte sich langsam, nachdem die Russen 1827 die Stadt den Persern abgenommen hatten. Der große Wachstumsschub setzte jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg ein. Das Land wurde damals Zufluchtsort für die Überlebenden des osmanischen Völkermords an den Armeniern (1915/16). Sie brachten auch eine lähmende Traurigkeit mit, die heute noch nicht ganz überwunden ist. Heute leben in der Stadt deutlich über eine Million Einwohner.

Mittelpunkt ist der belebte Platz der Republik im Zentrum der Stadt, umgeben von den wichtigsten Regierungsgebäuden, dem Historischen Museum und der staatlichen Gemäldegalerie. In den Abendstunden hüpfen die Wasserfontänen zu lockerer Musik. Viele Schaulustige wollen dabei sein.

Nicht weit entfernt ist die hundert Meter hohe Kaskade mit einer Parkanlage an ihrem Fuß. In dieser Parkanlage stehen viele beeindruckende Skulpturen internationaler Künstler, alle von großer Schönheit, aber in der Unruhe der Anlage mit vielen Menschen auch etwas gewöhnungsbedürftig.

Beeindruckend ist natürlich der Besuch in Tsitsernakaberd, was wörtlich so viel wie Schwalbenfestung bedeutet. Auf dieser Anhöhe steht seit 1968 ein großer Denkmalkomplex für die Opfer des Völkermords: ein 44 Meter hoher Obelisk, zwölf Pylonen rings um eine ewige Flamme und eine 100 Meter lange Mauer mit den Namen der Städte und Dörfer, aus denen die Opfer der Massaker stammten.

Viele Exil-Armenier investieren in der Stadt, um mit neuer Architektur oder Denkmälern das sowjetische Erbe und die orientalische Mentalität zu überwinden. Erfolg ist ihnen zu wünschen.