Psalm für Karfreitag
Psalm für Karfreitag
Ich denke, es kann nicht sein, dass an einem Karfreitag die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, die Sträucher grünen.
Es müsste donnern und stürmen, wehen und rütteln, zumindest regnen. Wenn sich das Tor zur sterblichen Unterwelt öffnet.
Es ist vollbracht.
Die Botschaft ist klar. Alles zu Ende, keine Hoffnung mehr. Das Spiel ist aus.
Warum widmen wir dieser Aussage einen Tag des Jahres, warum beten wir den Verlierer an?
Es gab in meinem Leben, es gibt in unserem Leben, es gibt in unser aller Leben viele Augenblicke, an denen wir verzagen, verzweifeln, uns ängstigen, verkriechen, zittern, an denen wir ans Ende denken, die Hoffnung schwindet.
Wir hängen neben Dir am Kreuz und wie damals die beiden rechts und links von Dir, auf dem Hügel von Golgatha. Von Kreuz zu Kreuz fragen wir Dich: Wenn Du Gott bist, warum rettest Du Dich nicht? Warum rettest Du uns nicht?
Es ist nicht befriedigend, zu erfahren, dass es so kommen muss. Dass unser Leben Mühsal ist, dass der Tod unser Leben beenden wird.
Selbst Du als Gott hast gezaudert und gestöhnt bis Du das Ende akzeptiert hast: Es ist vollbracht.
Die dramatische Geschichte Deiner Kreuzigung ist so unwirklich, dass selbst Ungläubige glauben. Ein Gott lässt sich als Mensch töten, unterliegt aller menschlichen Bosheit. Die Menschen besiegen Gott.
Gott hat sich verkleinert, er hat sich untergeordnet. Er hat uns Menschen den Spiegel vorgehalten.
Wir sind diejenigen, die schuld sind, die für Mord, Totschlag, Verletzungen, Verzweiflung, Verleumdungen verantwortlich sind. Die einzige Hoffnung ist, wenn wir nicht in der Gosse sterben, sondern neben Gott am Kreuz den letzten Atemzug machen dürfen.
So wird das Kreuz zum Mahnmal, zum Zeichen, zur Erinnerung. Wir sollten jeden Tag, jede Stunde, jede Minute das Kreuz im Blick haben. Es genügt nicht, nur einen einzigen Tag im Jahr darüber nachzudenken. Karfreitag ist immer, ohne Unterlass, ohne Unterbrechung.
Das Wetter hat umgeschlagen Es regnet und Wolkenmassen ziehen über das Land. Das ist gut so, denn an Karfreitag können die Mächte der Natur nicht freundlich gestimmt sein. Sie toben und zeigen ihre Kraft. Irgendwann neigt sich die Natur vor ihrem Schöpfer und tausendfach schallt es aus vielen Kehlen: Es ist vollbracht.