Von morgens bis abends
Ich wache auf, meine Augen sind noch verschlossen, wollen sich nicht an die Helligkeit gewöhnen. Durch den Schleier des jungen Tages sehe ich Dich neben meinem Bett stehen.
Frohgemut eile ich in mein Bad und wasche mich, lasse das Wasser über meinen Körper gleiten, freue mich über die warme Nässe. Durch den Regenschleier sehe ich Dich in der Ecke stehen. Ich weiß, Du wartest auf mich.
Ich trinke aus meiner alten Kindertasse einen Kaffee und esse ein Marmeladenbrot. Es ist eine Kleinigkeit am Morgen, aber es sättigt mich. Ich blicke hinüber zu Dir, Du sitzt mir gegenüber und siehst mich an. Ich frage Dich, warum Du nichts isst. Du lächelst nur.
Ich fahre mit der Metro in mein Büro. Sie ist voller Menschen, die zu ihrer Arbeit eilen. Es ist ruhig, nur die Fahrgeräusche der Wagen sind zu hören. Neben mir stehst Du. Ich bilde mir ein, Deine Wärme zu spüren. Ich bin jedenfalls voller Tatendrang als ich an meinem Schreibtisch sitze.
Ich arbeite konzentriert, lese, welche Nachrichtern im Computer auf mich warten, was ich zu antworten habe, was ich heute fertigstellen muss. Du sitzt auf dem kleinen Stühlchen neben meinem Schreibtisch und siehst mir bei der Arbeit zu. Deine Anwesenheit ist tröstlich. Ich kann so viel konzentrierter arbeiten, mache keine Fehler.
Ich esse auf der Straße an einem Imbiss ein Brötchen mit Fisch und Zwiebeln. Du stehst neben mir, wieder isst Du nichts. Ich biete Dir von meinem Brötchen an, Du lächelst nur.
Du könntest einmal mit mir sprechen, denke ich. Es ist trotzdem schön, wenn Du einfach da bist.
Als ich am Abend vor dem Fernseher sitze, die Nachrichten höre, sehe ich Dich in so manchen Szenen der Welt, die von den Fernsehleuten berichtet werden. Du bist anscheinend überall. Du bist in Mali und in Vietnam und hast einen Platz im Bundestag. Und Du sitzt in meinem Wohnzimmer. Ich trinke Wein, biete Dir ein Glas an. Du lächelst nur.
Ich gehe ins Bett, bin müde und weiß, dass mich bald der Schlaf umfangen wird. Meine Augen fallen zu. Ich sehe Dich noch am Fußende meines Bettes und ich fühle, wie Du die Bettdecke über mich breitest und sie gerade ziehst. Sie liegt akkurat auf meinem Körper.
Ich sehe Dein Lächeln. Ich freue mich auf morgen, weil ich weiß, dass Du da bist, wenn ich aufwache.
Ein Tagesablauf mit einem Beschützer. Ich habe an den Film „Bodyguard“ gedacht. Gott ist so ein Wächter und Bewahrer, der sich die Zeit nimmt, mich während des gesamten Tages und in der Nacht zu behüten und zu beschützen. Nicht nur mich, auch andere Menschen, wenn sie dies möchten. Gott hat die Eigenschaft der Ubiquität, er kann überall gleichzeitig sein. Mit so einer Aussicht lässt sich ein Tag ganz anders gestalten. Man weiß sich geborgen und kann sich daher auf seine Arbeit konzentrieren.
Nichts ist fürchterlicher, als alle Tage von morgens bis abends etwas tun zu müssen, was einem widerstrebt. Und je menschlicher der Arbeiter fühlt, desto mehr muss ihm seine Arbeit verhasst sein, weil er den Zwang, die Zwecklosigkeit für sich selbst fühlt, die in ihr liegen. (Friedrich Engels)